Expertenrunde ‚Die Messtechnik der Zukunft‘ – Teil 2/2

inVISION: Was ist bei der Vernetzung von Messtechnik und Daten wirtschaftlich überhaupt machbar bzw. sinnvoll?

Wohlfeld: Mittlerweile wird Kommunikation immer günstiger, das heißt es gibt Chips die wenige Cent kosten und kommunizieren können. Der Mehraufwand einem Chip bzw. einem Sensor die Möglichkeit zu geben, sich mitzuteilen, wird immer preiswerter. Immer mehr Sensoren werden daher diese Möglichkeit nutzen, ihre Daten an ein MES oder eine Datenbank weiter zu geben.

Beyer: Man sollte so viele Informationen wie möglich aus den vernetzten Daten gewinnen, denn das Ziel der Anwender ist es, Messdaten direkt in die Produktion einfließen zu lassen und eine automatische Regelung zu ermöglichen, die der Werker nur noch vom Leitstand aus betrachtet. Hierfür benötigt das System allerdings Prozessdaten, wie Licht, Temperatur usw. Also alles, was der Werker im Hinterkopf automatisch in die Entscheidung einfließen lässt, um seine Produktion zu regeln. Das muss ich über künstlich oder messtechnisch erzeugte Daten nachbilden, vernünftig verarbeiten und dann intelligent entscheiden.

Modrich: Wenn wir z.B. beim Automobilbau bleiben: Die Vernetzung von Qualitätsdaten und Messräumen bei einem weltweiten Produktionsanlauf an fünf verschiedenen Standorten spielt für den Produktivitätsgewinn eine immense Rolle, um dort eine Transparenz zu erhalten und zugleich Produktionsmethoden, die global ausgerollt werden, miteinander vergleichbar zu machen. Zudem gibt es die Möglichkeit mittels Vernetzung Smart Services anzubieten, das heißt die Betriebszustände der Messgeräte zu erfassen, um Predictive Maintenance zu realisieren.

inVISION: Die Anzahl der Messtechniker steigt nicht so schnell, wie die Anzahl der möglichen Applikationen, das heißt Messtechnik muss einfacher werden, damit auch Nicht-Messtechniker die Systeme bedienen können. Welche Trends gibt es dort?

Christoph: Eine Lösung wäre, wenn CAD-Modelle mit integrierten Daten so ankämen, dass man diese auch wirklich verarbeiten kann. Stichwort PMI (Product Management Information): Wir Hersteller haben uns darauf vorbereitet, aber es mangelt derzeit noch an Anwendern. Das Problem besteht darin dem Konstrukteur nahezulegen, dass er sich überhaupt um solche Themen Gedanken macht. In einzelnen Anwendungen läuft es aber bereits. Dort kann man dann ganze Teile und Serien mit verschiedener Geometrie über die gleichen Programme steuern, weil die Informationen über das CAD kommen.

Reich: Vor 20 Jahren war es noch sehr schwierig Roboter zu programmieren, auf denen unsere Sensoren installiert waren. Heute funktioniert die Erzeugung eines Messprogramms für einen Roboter auf Knopfdruck. Wir haben die CAD-Daten und die Inspektionselemente, die gemessen werden sollen. Danach entscheidet die Software aus welchen Richtungen der Sensor auf das Teil schauen muss, damit alles optimal gemessen werden kann.

Wirth: Automatisierung betrifft nicht nur die Datenerfassungsseite, sondern auch die Auswerteseite. Dort haben wir bereits viele Fortschritte, wie KI, die den Anwender entlasten.

Wohlfeld: Einen anderer Trend ist es, den Menschen wieder stärker in die Prozesse einzubringen, um flexibler zu werden. Automatisierung hat zwar den Vorteil, dass man schnell und effizient ist, aber man benötigt Fachwissen. Daher schaut man sich derzeit an, wie man die Flexibilität des Menschen mit der Automatisierung verknüpfen kann, so dass am Ende ein flexibles, automatisch effizientes System entsteht.

Beyer: Wir beobachten in den Auslandswerken, dass die Qualifikation der Bediener deutlich geringer ist, als im deutschen Bereich und dort viele Anwender mit den derzeitigen Systemen überfordert sind. Daher wird man zukünftig den Roboter Aufgaben abnehmen und den Menschen wieder verstärkt einsetzen.

Wirth: Wenn man sich heute einen kollaborativen Roboter ansieht, können wir sehr viel davon lernen. Dabei kommt dann auch wieder der Mensch ins Spiel, denn dieser zeigt dem Roboter, in dem er ihn an die Hand nimmt, was er tun soll.

Christoph: Wir hatten im letzten Jahr eine Lösung am Messestand, bei der ein Roboter, alternativ zum Anwender, ein Koordinatenmessgerät über Tastatur und Bildschirm bedient. Bei anderen Anwendungen werden schon heute alle Programme ‚offline‘ vorab anhand der CAD-Modelle erstellt. Die Bedienung erfordert dann keine Spezialkenntnisse mehr.

Modrich: Ziel muss es sein, dass Messtechnik einfacher zu bedienen ist, auch von Leuten ohne eine entsprechende Ausbildung, um die Qualitäts- und Produktionsprozesse abzusichern. Hier hilft Digitalisierung, um entsprechende Simulationen bereits vor einer Installation durchzuführen. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, wenn Sie bei einer Inbetriebnahme nicht mit der Geschwindigkeit des Anlagenbauers oder OEMs mithalten können und dann das Hochfahren einer Produktionsanlage verzögern. Hier gibt es Tendenzen, so viel wie möglich bereits in frühen Phasen durchzuführen, um dann mit den Simulationsergebnissen auf die Baustelle zu kommen und dort die Messprogramme nur noch einspielen zu müssen. Je früher Inline-Messanlagen dem Kunden zur Verfügung stehen, umso mehr kann der Endkunde an Zeit bei einem Hochlauf einsparen.

Beyer: Genau da muss es hingehen. Über Simulation offline die Prozesse schon vorab in die Systeme hinein bringen und dann die Systeme nur noch vor Ort installieren.

Reich: Allerdings haben Kunden teilweise ihre eigenen Konzernstandards, denn sie wollen in der Lage sein, die eigenen Anlagen zu warten und eingreifen zu können. Auf der anderen Seite werden die Systeme aber immer komplexer und wir wollen nicht für jeden OEM eine eigene Sonderlösung bauen, weil diese am Ende nicht ausgereift und optimiert ist. Ziel muss es daher sein, dass die komplexen Messsysteme als Blackbox verstanden werden und dadurch sehr schnell in die Fertigung integriert werden können.

Beyer: Im Vorfeld muss ein System bereits zu 90 bis 95 Prozent funktionieren. Die letzte Anpassung vor Ort sollte sehr überschaubar sein und muss sicher funktionieren.

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inVISION 5 2019

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