Zu komplex für den Anwender?


Wie sind die Erfahrungen Ihrer Kunden mit dem EMVA 1288?

Haider: Zum einen gibt es Kunden, die selber Kameras entwickeln und den Standard kennen und auch die Theorie dahinter beherrschen. Diese Anwender fordern meistens sogar noch mehr Daten von uns, als auf dem EMVA-Datenblatt stehen. Dann gibt es Kunden, die haben davon noch nie etwas gehört. Das Problem ist, dass der Kunde letztendlich nicht eine Kamera beherrschen muss, sondern ein System. Es ist nicht der Standard, der zu komplex ist, sondern das Thema. Wenn Kunden die Datenblätter anfordern, stellen wir sie ihnen zur Verfügung – gekoppelt mit einem Anruf von unserem technischen Support, der nach der jeweiligen Anwendung fragt. Es werden bei dem Standard z.B. erreichbare Maximalwerte gemessen, die in den meisten Anwendungen aber nicht erreichbar sind, da man z.B. nur limitierte Belichtungszeiten hat. Der Anwender muss dann auf ganz andere Daten schauen, und dabei helfen wir.

Mattfeldt: Ohne weitere Erklärungen verstehen die meisten Kunden nur die Hauptschlagworte, wie Dynamik, SNR, Dunkelstrom, usw. Wir haben aber gute Erfahrungen damit gemacht, wenn wir unsere Kameras sortiert nach Sensoren, Familien, Szenarien (Maximaldynamik, Maximal SNR) vorstellen und dem Anwender erklären. Der Standard hat der Branche geholfen und den meisten Kunden hilft er auch, aber vielen muss man es halt noch erklären.

Was können Sie heute Dank des Standards, was Sie vorher nicht konnten?

Jähne: Vorher war es schwierig, Kameras miteinander zu vergleichen. Es fehlten Tools für einen quantitativen Vergleich. Der EMVA 1288 hat diese Möglichkeit geschaffen. Jetzt kann man Kameras objektiv vergleichen und mit dem entsprechenden Wissen für seine Applikation die beste Kamera heraussuchen.

Haider: Wir haben bereits vor dem Standard Fototransfer-Messungen durchgeführt. Jetzt machen wir sie gemäß Standard und haben dadurch auch die Vergleichbarkeit mit dem Wettbewerb. Zusätzlich vergleicht man eigene Entwicklungen immer wieder mit den schon bestehenden Kameras aus dem eigenen Portfolio, und erreicht so eine kontinuierliche Produktverbesserung. Allerdings ist die Vergleichbarkeit bei einigen Parametern schwierig, z.B. der Quanteneffizienz. Dort haben wir extreme Streuungen bei gleichen Sensoren der verschiedenen Kamerahersteller. Zwar sind es keine dynamischen Abweichungen, da man weiß, Kamerahersteller X misst grundsätzlich so, dass der Wert einige Prozentpunkte über oder unter dem eigenen Wert liegt. Das bringt einen in Erklärungsnot, weil man dem Kunden sagen muss, ‚Das ist, was ich gemessen habe, aber die anderen Kameras oder Sensoren sind nicht besser, es ist nur anders gemessen worden‘.

Jähne: Für die Messung der Quantenausbeute brauchen Sie eine absolute Kalibrierung. Dies hat eine Unsicherheit von typischen 3 Prozent. Wenn Sie mit verschiedenen Geräten gemessene Bildsensoren vergleichen, dann müssen Sie mit einer Ungenauigkeit bei der Messung der Quantenausbeute in dieser Größenordnung rechnen. Das gehört mit zur Ausbildung über den Standard, wie unsicher die verschiedenen Parameter sind. Zudem haben Vergleichsmessungen mit verschiedenen Kameras an derselben Maschine gezeigt, dass die effektive Quantenausbeute des Sensors auch davon abhängt, was an Filtern vor dem Bildsensor sitzt. Also wie gut z.B. das Glas entspiegelt ist. Bei einer Farbkamera kann das IR/UV-Sperrfilter unterschiedliche Durchlässigkeit haben. An einer unentspiegelten Glasfläche werden 5 Prozent reflektiert, an einer Scheibe mit zwei Flächen also insgesamt 10 Prozent.

Mattfeldt: Wir haben dank EMVA 1288 die Erfahrungen gemacht, dass man plötzlich wusste, wo man etwas tun muss. Es wäre gelogen, wenn man behaupten würde, dass vorher alles in Ordnung war.

Jähne: Der Standard basiert auf einem linearen Modell, sprich die Photonen werden auf jedem Pixel des Bildsensors dort in Ladungsträger umgewandelt und linear verstärkt, ohne untereinander verrechnet zu werden. Wenn die Kamerakennlinie nichtlinear ist, werden bestimmte Parameter falsch berechnet. Bei inhärent nichtlinearen Bildsensoren, z.B. bei logarithmischen Bildsensoren von NIT, IMS oder Photonfocus, muss ein anderes Model zu Grunde gelegt werden. Diese Sensoren können sie nach EMVA 1288 messen, aber nicht auswerten. Was uns in Zukunft immer mehr beschäftigen wird, ist Vorverarbeitung in der Kamera. Also das, was im kommerziellen Sektor in jedem Handy oder digitalen Spiegelreflexkameras geschieht, um die Bilder zu verbessern. Sobald z.B. Rauschen unterdrückt wird, beeinflusst es die Photonentransferkurve und es werden zu hohe Quantenausbeuten gemessen.

Für welche Geräte ist der EMVA 1288 geeignet?

Jähne: Der Standard ist für alle linearen Kameras geeignet und bewusst auf den Machine-Vision-Markt ausgerichtet, wo jeder Anwender seine Komponenten zusammenstellt. Die ISO-Standards charakterisieren dagegen ein System. Dort spielen dann Themen wie Auflösung eine Rolle, da dort Optik plus Kamera charakterisiert wird. Das fehlt im Augenblick noch beim EMVA 1288, aber wir fangen an, darüber nachzudenken: ‚Kann man basierend auf dem, was wir bisher gemacht haben, die Optik noch hinzunehmen?‘ Für die Optik selbst gibt es bereits Standards. Was beim EMVA 1288 Standard noch fehlt sind Parameter, die für die Kopplung der Optik zum Bildsensor wichtig sind. In welchem Maße reduziert der Bildsensor selbst die Auflösung (Messung der MTF des Bildsensors)? Und wie hängt die Empfindlichkeit des Bildsensors vom Winkel des einfallenden Lichts ab?

Haider: Wir messen sogar unsere InGaAs-Kameras nach EMVA 1288, weil letztendlich Photonen aufakkumuliert werden. Wir haben aber trotz Messungen gerade bei den hoch integrierten Sensoren häufiger das Problem, dass wir Bildartefakte sehen, die man subjektiv gut beurteilen kann, die der Standard aber nicht raus misst. Das Bild sieht schlecht aus, aber die Messwerte sind gut. Dort haben wir Schwierigkeiten zu definieren, wie wir diesen subjektiv schlechten Bildeindruck in Formeln fassen.

Jähne: Die Fehler tauchen natürlich in der Photonentransferkurve auf und addieren sich dort. Die ISO-Standards sind für den Konsumer gemacht, d.h. für das Auge. Also wann sieht ein Bild gut für das Auge aus, d.h. aber nicht, dass es gut für Machine Vision ist. Der EMVA-1288-Standard ist gezielt auf Messtechnik und gute Bilder im Sinn einer weiteren Bildverarbeitung geeignet und daher auch für manches, was das Auge als nicht störend empfindet, aber die Algorithmen stört.

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